„Heutzutage werden die Kinder durch brutale Computerspiele immer gewalttätiger!“ – Doch stimmt das wirklich? Eine neue Studie gibt Aufschluss.
Problemstellung
Die Darstellung von Gewalt in Computerspielen ist seit Jahren ein kontroverses Thema. Jan Husemann von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat in seiner Studie untersucht, wie sich die Akzeptanz von Gewalt in Computerspielen entwickelt hat und wie diese von Institutionen bewertet wird. Insbesondere geht es darum, ob und wie sich die gesellschaftliche Wahrnehmung und die institutionelle Bewertung von Gewaltinhalten in Computerspielen über die letzten 30 Jahre verändert haben.
Relevanz
Die Diskussion um Gewalt in Medien, insbesondere in Computerspielen, ist von großer gesellschaftlicher Relevanz. Diese Spiele sind ein fester Bestandteil der Freizeitgestaltung vieler Menschen, insbesondere Jugendlicher. Die Frage, wie diese Spiele auf die Psyche und das Verhalten wirken, beschäftigt Eltern, Pädagogen und Politiker gleichermaßen. Eine Untersuchung, die aufzeigt, wie die Akzeptanz von Gewalt in diesen Spielen gewachsen ist und wie diese Entwicklung von Institutionen wie der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) reflektiert wird, ist daher von großer Bedeutung.
Annahmen
Husemann geht in seiner Studie von der Annahme aus, dass es innerhalb der letzten 30 Jahre zu einer zunehmenden Akzeptanz von Gewalt in Computerspielen gekommen ist. Diese These basiert auf der Beobachtung, dass Spiele, die früher aufgrund ihrer Gewaltdarstellungen indiziert wurden, heute oft frei verkauft werden dürfen. Diese Veränderung könnte auf einen Wandel in den gesellschaftlichen Normen und Werten bezüglich Mediengewalt hinweisen.
Methodik
Die Untersuchung stützt sich auf eine historische Analyse von Indizierungsentscheidungen der BPjM und deren Vorgängerorganisation BPjS. Husemann vergleicht die Begründungen für die Indizierung von Spielen über verschiedene Jahrzehnte hinweg und untersucht, wie sich die Bewertungsmaßstäbe verändert haben. Dabei konzentriert er sich auf bekannte Spielereihen wie Doom und Mortal Kombat, die seit den 1990er-Jahren immer wieder aufgrund ihrer Gewaltdarstellungen in den Fokus der Jugendschützer geraten sind.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass sich die Bewertung von Gewalt in Computerspielen deutlich verändert hat. Während Spiele wie Doom und Mortal Kombat in den 1990er-Jahren schnell indiziert wurden, sind ihre modernen Nachfolger oft frei erhältlich. Diese Veränderung lässt sich teilweise auf die Novellierung des Jugendschutzgesetzes im Jahr 2003 zurückführen, die eine Altersfreigabe durch die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) als hinreichend für den Verkauf einstuft und eine nachträgliche Indizierung erschwert.
Ein interessantes Beispiel ist die Entwicklung der Mortal Kombat-Reihe. Während die ersten Teile der Serie durchweg indiziert wurden, erhielt Mortal Kombat X von 2015 eine Altersfreigabe der USK und wurde nicht indiziert. Die BPjM begründete dies damit, dass die grafische Darstellung der Gewalt zwar realistischer geworden sei, die Gewalt aber durch die fiktiven und überzeichneten Elemente als solche erkennbar und damit distanzierbar bleibe.
Auch bei der Doom-Reihe lässt sich dieser Trend beobachten. Doom (2016) und Doom Eternal (2020) wurden trotz ihrer expliziten Gewaltdarstellungen nicht indiziert, was auf eine veränderte Bewertungspraxis hinweist. Hier wird die Gewalt in einen fiktiven Kontext gesetzt, der deutlich macht, dass es sich um eine Spielwelt handelt und nicht um reale Gewalt.
Ausblick
Die Ergebnisse von Husemanns Studie legen nahe, dass die Akzeptanz von Gewalt in Computerspielen gestiegen ist, was auf einen Wandel in den gesellschaftlichen Normen und Werten hinweist. Diese Entwicklung wird voraussichtlich weitergehen, da technische Fortschritte in der Spielentwicklung zu immer realistischeren Darstellungen führen, die jedoch gleichzeitig als Fiktion erkennbar bleiben. Zukünftige Forschung könnte untersuchen, wie diese Entwicklungen die Wahrnehmung von Gewalt in anderen Medien beeinflussen und welche neuen Herausforderungen sich daraus für den Jugendschutz ergeben.
Quelle:
Husemann, J. (2022). Die Hinwendung zur Gewalt: Computerspiele im Spannungsfeld zwischen Tabubruch und gesellschaftlicher Akzeptanz. In A. Braun & C. Steuerwald (Hrsg.), Kunst und Gewalt (S. 165-186). Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-38422-7_7